P1570290 P1570178

P1570192P1570182Fotos: BOZENA BEHRENS

Text:: INGRID MÜLLER-MERTENS

Die Frage, ob Gesellschaftsspiele im digitalen Zeitalter überhaupt noch eine Chance haben ist falsch gestellt. Die aktuelle Frage sollte vielmehr lauten: Wie kann man es erklären, dass im digitalen Zeitalter die Begeisterung für Brettspiele wächst und die Anzahl der Spieler rasant zunimmt, immer mehr Spieleklubs wie Pilze aus dem Boden schießen. Ist es der bewusste Rückzug ins Private, Entschleunigung nach dem Alltagsstress oder der kindliche Spaß am Gewinnen? Sicher von allem etwas.

Der entscheidende Antrieb ist aber wohl das Gemeinschaftserlebnis, der Gegentrend zur einsamen digitalen Unterhaltung, die fröhliche Kommunikation mit Gleichgesinnten aller Altersstufen.

Aber das erklärt sicher noch nicht den Spiele-Boom der letzten Jahre. Ein ganz wesentlicher Faktor ist die inhaltliche Qualität der angebotenen Spiele und nicht zuletzt eine immer aufwendigere und attraktivere grafische Gestaltung. Dazu ungewöhnliche Themen und Inhalte, an denen kompetente Entwicklerteams oft jahrelang mit Herzblut herumtüfteln.

Das gute alte „Mensch ärgere Dich nicht“ ist nach wie vor aus den Kinderzimmern nicht wegzudenken und wird dort auch weiter seinen Platz haben. Mit den modernen Spielen hat es aber ähnlich viel gemeinsam wie der Computer mit der Schreibmaschine. Gefragt sind innovative Spielkonzepte mit mehr oder weniger komplizierten Inhalten.

Da werden abenteuerliche Geschichten erzählt, anspruchsvolle Strategien entwickelt, da wird geknobelt, gegrübelt, da ist Taktik ebenso gefragt wie Geschicklichkeit und soziale Kompetenzen, werden haptische Fähigkeiten geschult und Emotionen aller Art aktiviert. Und ganz wichtig: Wie eh und je sitzt Jung und Alt voller Spannung und Einsatzfreude gemeinsam um den Tisch herum und einsame Computerspiele verlieren ihren Reiz.

Seit 1979 wird alljährlich von einer Kritikerjury des Vereins Spiel des Jahres e. V. ein Preis für deutschsprachige Brett- und Kartenspiel-Neuheiten vergeben, der in den drei Kategorien „Spiel des Jahres“, „Kennerspiel des Jahres“ und „Kinderspiel des Jahres“ eine hilfreiche Orientierung auf dem heiß umkämpften Spielemarkt geben will. Er gilt inzwischen als die weltweit bedeutendste Spieleauszeichnung in der Branche.

In Berlin wurde nun unter großer Beteiligung der erwartungsfrohen Gestalterteams und Verlage aus den jeweils Nominierten die Siegerspiele verkündet. Diesmal ein besonders starker Jahrgang, freute sich der Jury-Vorsitzende Tom Felber. 23 Titel von Hunderten haben es letztlich auf die Liste geschafft.

P1570307 P1570267Fotos:Bozena Behrens

„Spiel des Jahres 2018“ wurde „Azul“, ein taktisches Legespiel mit hohem Suchtpotential für zwei bis vier Spieler ab 8 Jahren von Michael Kiesling, Grafik: Chris Quilliams, Verlag: Next Move (Montréal), Vertrieb: Pegasus Spiele, etwa 33 Euro. Hier beauftragt der portugiesische Köng Manuel I. Handwerker , die Wände seines Palastes mit schönen Mosaiken zu verzieren. Unter den „Fliesenlegern“ entbrennt nun ein Wettbewerb die beste Fliesen aus den Manufakturen zu erhalten und am Ende ein attraktives zusammenhängendes Mosaik vorzuweisen. Neben der erforderlichen Taktik begeistert auch das schöne „Fliesenmaterial“ und die bezaubernde Ästhetik des entstehenden Bildes. „Azul“, benannt nach den weiß-blauen Keramikfliesen Azulejos, spielt den Vorteil von Brettspielen gegenüber Computerspielen aus: Diese Fliesen möchte man einfach anfassen.

Bei so vielen hervorragenden Anwärtern war es auch schon eine besondere Ehre, für den Preis nominiert zu werden. Auch dafür gab es eine Urkunde.

P1570310 P1570299

P1570326 P1570317Fotos:Bozena Behrens

Nominiert als „Spiel des Jahres 2018“ auch ein eher kleines Kartenspiel, das in jede Jackentasche passt und mit einem ebenso banalen wir zunächst unglaublichen Konzept verblüfft: „The Mind“ für zwei bis vier Spieler ab acht Jahren von Wolfgang Warsch, Grafik: Oliver Freudenreich, Verlag: Nürnberger-Spielkarten-Verlag, etwa acht Euro. Die Spieler müssen über mehrere Level gemeinsam Zahlkarten in aufsteigender Folge ausspielen. Die Karten sind in der richtigen Reihenfolge von 1 bis 100 abzulegen. Aber keiner kennt die Karten und Zahlen der Mitspieler, die sich einreihen müssen. Die reizvolle Idee besteht im Synchronisieren des Zeitgefühls der Mitspieler. Hier ist Konzentration und Intuition gefragt, Absprachen sind verboten.

Beim ebenfalls nominierten eher etwas konventionellen Lauf-und Sammelspiel Luxor“ „ für zwei bis vier Spieler ab acht Jahren von Rüdiger Dorn, Grafik: Dennis Lohausen, Verlag: Queen Games, etwa 40 Euro, begeben sich die Spieler auf die abenteuerliche Suche nach der Grabkammer des Pharaos und jagen dabei nach den wertvollen Grabbeigaben in der Schatzkammer. Da muss man schnell sein und strategisch planen. Eine Augenweide die grafische Gestaltung.

Ebenfalls nominiert: Ganz schön clever, ein taktisches Würfelspiel für 1 bis 4 Spieler ab 10 Jahren von Wolfgang Warsch, Grafik: Leon Schiffer, Verlag: Schmidt Spiele (Berlin), Preis etwa 12 Euro. Die Jury zeigte sich fasziniert vom gehobenen Anspruch dieses Spiels mit sehr vielen intelligenten und kniffligen Herausforderungen Am Ende räumt der schlauste Fuchs die Felder ab Ein spannendes Spiel für Ehrgeizige.

Auch „Heaven & Ale“war heißer Anwärter auf das „Kennerspiel des Jahres 2018“.Ein strategisches Optimierspiel für 2 bis 4 Spieler ab 12 Jahren von Michael Kiesling und Andreas Schmidt, Grafik: Christian Fiore, Verlag: eggertspiele (Hamburg), Vertrieb: Pegasus Spiele (Friedberg), Preis etwa 40 Euro, In der Klostergartenidylle wird hart geschuftet. Bier soll gebraut werden, möglichst viel und nach dem Reinheitsgebot. Die dafür benötigten Zutaten müssen beschafft werden. Die richtige Ressourcen-Balance und das passende Timing ist eine Herausforderung auch für erfahrene Kennerspieler.

P1570301 P1570222 Fotos: Bozena Behrens

Unabhängig von den Familienrunden hat sich eine Szene spielbegeisterter Erwachsener entwickelt, denen Brettspiele nicht komplex genug sein können. Sie treffen sich zu wöchentlichen Brettspielrunden oder reisen zu Brettspielturnieren, um stundenlang zu spielen. Hersteller und Autoren gehen längst auf die Wünsche der Vielspieler ein – und die Jury „Spiel des Jahres“ auch. Zum achten Mal wurde daher auch ein „Kennerspiel des Jahres“ prämiert. Die Trophäe erhielt das Spiel „Die Quacksalber von Quedlinburg“ des Berliner Verlags Schmidt Spiele®. Autor: Wolfgang Warsch .Preis: ca. 32 Euro .

„Die Quacksalber von Quedlinburg“ lässt zwei bis vier Spieler ab zehn Jahren in die magische Welt des Mittelalters eintauchen: Als Wunderdoktoren sammeln sie Zutatenchips, Alraunenwurzel, Geisteratem und Fliegenpilz und brauen aus allerlei ungewöhnlichen Zutaten immer wieder neue Tränke.

Die Zubereitung erfolgt dabei nicht etwa streng nach Rezept, sondern nach dem Prinzip Zufall: Aus dem eigenen wildgemischten Vorratsbeutel zieht jeder Spieler nach und nach die Ingredienzien für seinen Trank. Bei Knallerbsen allerdings ist Vorsicht geboten, denn diese führen in zu hoher Konzentration zur Kesselexplosion. Wer das Risiko einer Kesselexplosion gut einschätzt und die taktischen Möglichkeiten sinnvoll nutzt, hat im Wettstreit der Quacksalber beste Siegchancen.

P1570330 P1570335Fotos: Bozena Behrens

Last but not least gab es auch einen Sonderpreis für das Jahr 2018 und der ging an „Pandemic Legacy“ – Season 2. Ein kooperatives Strategiespiel für 2 bis 4 Spieler ab 14 Jahren, von Matt Leacock und Rob Daviau, Grafik: Chris Quilliams, Atha Kanaani, Verlag: Z-Man Games (Roseville, USA), Vertrieb: Asmodee (Essen), Preis etwa 40 Euro.

Nach dem erfolgreichen Season1-Grundspiel wächst die „Pandemie“-Familie, denn hier wird das Tor zu einer packenden Fantasy-Welt aufgestoßen . 71 Jahre nach dem apokalyptischen Ausbruch einer weltweiten Seuche müssen die letzten Überlebenden auf dem Festland vom Meer aus versorgt werden. Es geht um nichts Geringeres, als die Welt zu retten.

Und jetzt kann man nur noch eines sagen: Tisch frei und eintauchen in die faszinierende Welt der Spiele.