Felix Lederle

Felix Lederle (42) ist Fraktionsvorsitzender der LINKEN in der BVV Reinickendorf. Er hatte auch bis Mitte Dezember 2017 das Amt des Bezirksvorsitzenden seiner Partei inne. Am 16.12.2017 wählten auf dem Parteitag der Reinickendorfer LINKEN die Mitglieder die Bezirksverordnete Deniz Seyhun (47) zur neuen Bezirksvorsitzenden. Stellvertretende Bezirksvorsitzende wurde Dilay Dagdelen (23). Wir sprachen mit Felix Lederle.

Berlin-City-Report: Lieber Herr Lederle, heißt es nun bei den Reinickendorfer LINKEN „Frauenpower“? Das Amt sowohl der Bezirksvorsitzenden als auch der Stellvertretenden Bezirksvorsitzenden sind nun in Damenhänden.

Felix Lederle: „Es ist so, ich habe nicht mehr kandidiert, weil ich finde, dass es zur Demokratie dazugehört, dass nach sechs Jahren dann auch mal ein Wechsel stattfindet und weil ich es aus grundsätzlichen Erwägungen heraus nicht für sinnvoll halte, wenn die Spitze von Partei und Fraktion – egal auf welcher Ebene – dauerhaft in einer Hand ist und hatte deshalb meinen Rückzug von der Parteispitze bereits vor einem Jahr mit der Wahl zum Fraktionsvorsitzenden angekündigt. Ja, die Mitglieder der LINKEN Reinickendorf haben auf „Frauenpower“ gesetzt und sich für einen mehrheitlich aus Frauen bestehenden Bezirksvorstand mit einer politisch erfahrenen und führungsstarken Frau an der Spitze entschieden. Das passt gut zum Jubiläumsjahr „100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland“ und kommt mir sehr entgegen, denn auch wenn die Frauenbewegung in den letzten hundert Jahren viel erreicht hat, werden Frauen in unserer Gesellschaft immer noch vielfach benachteiligt und DIE LINKE hat sich das Ziel der Geschlechtergerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben und möchte das Engagement von Frauen in verantwortlichen Positionen in Politik und Wirtschaft befördern. Nach meiner Lebenserfahrung sind Frauen tendenziell sozialer eingestellt und setzen eher auf Konfliktprävention und Kompromissfindung. Ich persönlich hätte – zugegeben nicht ganz ernst gemeint – nichts dagegen, es in den nächsten hundert Jahren mal mit der Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts nur für Frauen zu versuchen. Nach den Wahlergebnissen der letzten Jahre und Jahrzehnte käme dann übrigens voraussichtlich keine rechtsradikale Partei mehr über die 5 Prozent-Hürde. Bemerkenswert ist mit Blick auf die Vorstandswahl meines Erachtens noch, dass ein Neuberliner mit afghanischem Fluchthintergrund gewählt wurde. DIE LINKE will, dass geflüchtete Menschen so schnell wie möglich auf eigenen Beinen stehen und an der Gesellschaft teilhaben können.“

Berlin-City-Report: Welche Schwerpunkte hat sich DIE LINKE im Bezirk für das neue Jahr gesetzt?

Felix Lederle: „Die Linksfraktion wird sich im Interesse des Bezirks weiterhin bemühen, die faire, konstruktive und sachliche Zusammenarbeit der demokratischen Fraktionen in der BVV Reinickendorf fortzusetzen. Die politischen Schwerpunkte der Linksfraktion waren und sind: 1.) mehr Bürgernähe und Bürgerbeteiligung; 2.) mehr soziale Gerechtigkeit für alle Menschen, Armutsbekämpfung und eine Stärkung des sozialen Zusammenhalts im Bezirk beispielsweise durch ein zusätzliches, drittes bezirkliches Quartiersmanagement in der Rollbergesiedlung; 3.) mehr Chancengerechtigkeit im Bereich der Bildung, Schulbau- und -sanierung und Aufbau zusätzlicher, auch aus Sicht der Senatsverwaltung für Bildung benötigter Sekundarstufen II in Reinickendorf sowie 4.) Mieterschutz, Wohnungsbau und Bekämpfung von spekulativem Leerstand und von sozial-räumlicher Verdrängung wie beispielsweise in der Trettachzeile oder beim Letteplatz. Die Linksfraktion wird sich dafür einsetzen, dass die landespolitischen Schwerpunkte im Bezirk umgesetzt und die hierfür vorgesehenen Landesmittel verausgabt werden: 1.) Abbau des jahrzehntealten Sanierungsstaus bei den Schulen und Bau zusätzlicher Schulen angesichts der Bevölkerungsentwicklung in der wachsenden Stadt; 2.) Ausbau der Fahrradverkehrsinfrastruktur im Zusammenhang mit dem Mobilitätsgesetz; 3.) Erhöhung des Anteils von bezahlbaren Wohnungen im öffentlichen Besitz durch Wohnungsbau und Ankauf von Grundstücken und Wohnungen; 4.) Stärkung der gesellschaftlichen Teilhabe und Bekämpfung von Armut und insbesondere von Kinderarmut, die in Teilen des Märkischen Viertels am dritthöchsten in ganz Berlin ist sowie 5.) Stärkung der Bezirke durch Erhöhung der Landesmittel für Personal und Investitionen in den Bezirken und Vergrößerung ihrer Handlungsspielräume.

Die Linksfraktion wird sich dafür einsetzen, dass ihre bei der Haushaltsaufstellung im Bezirk berücksichtigten Prioritäten mit Leben erfüllt werden: 1.) Stärkung von Beteiligungsprozessen durch die zur Verfügung gestellten Sondermittel für die BVV und Einstieg in das von der BVV beschlossene konkrete Bürgerhaushaltsprojekt „partizipatives Budgeting im Bereich der Fahrradverkehrsinfrastruktur“, durch das erstmals auch Bürgerinnen und Bürger in Reinickendorf über Ausgaben des Bezirks mitentscheiden können sollen; 2.) Stärkung des sozialen Zusammenhalts durch einen Ausbau der Schuldner- und Insolvenzberatung, wobei zwischenzeitlich auch zusätzliche Landesmittel hierfür eingestellt worden sind, Ausbau der sozialen Mieterberatung, die zukünftig auch dezentral außerhalb des Rathauses vor Ort erfolgen soll und Ausbau der Straßensozialarbeit in Reinickendorf.

Bei aufgrund der Wohnungsnot notwendigen Nachverdichtungsprojekten wird die Linksfraktion auf einer echten Bürgerbeteiligung im Vorfeld bspw. in Form von Runden Tischen gemeinsam mit dem jeweiligen Investor bestehen, um die Akzeptanz der Anwohnerinnen und Anwohner zu erhöhen und einen dann reibungslosen Ablauf der späteren Baumaßnahmen ohne unnötigen Zeitverlust zu gewährleisten. Bei notwendigen energetischen Modernisierungsmaßnahmen wird die Linksfraktion grundsätzlich darauf drängen, dass nach dem Vorbild der Modernisierung des Wohnungsbestandes der GESOBAU im Märkischen Viertel, mieterfreundliche Lösungen ohne Verdrängungseffekte erzielt werden.

Die Linksfraktion wird sich gemeinsam mit den Fraktionen von SPD, Bündnis 90/ Die Grünen, FDP und CDU, dem Bezirksamt, dem Integrationsbeauftragten, dem Willkommensnetzwerk, BENN, dem Stadtteilzentrum Günter-Zemla-Haus, Schulen, Kitas, den sozialen und kulturellen Projekten und allen humanistisch eingestellten Menschen vor Ort dafür engagieren, dass die Integration zusätzlicher geflüchteter Menschen im Märkischen Viertel gelingt und diese so schnell wie möglich auf eigenen Beinen stehen, ihren Lebensunterhalt selbstständig bestreiten und an der Gesellschaft teilhaben können.

Die Linksfraktion wird nach Kräften ein mögliches Volksbegehren „Privatisierungsbremse in der Berliner Verfassung“ nach Bremer Vorbild unterstützen, das im Erfolgsfall dazu führen würde, dass zukünftig die Privatisierung öffentlichen Eigentums grundsätzlich nur noch dann möglich ist, wenn eine Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner dem im Vorfeld in einer demokratischen Abstimmung zugestimmt hat.

Ein sehr wichtiges Projekt der Linksfraktion in 2018 besteht darin, gemeinsam mit den Fraktionen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen mit guten Argumenten und dann auch auf der Grundlage der Ergebnisse der Ende 2017 abgeschlossenen, vertiefenden Untersuchung für eine Mehrheit in der BVV zu werben, dass erstmals auch in Reinickendorf eine soziale Erhaltungssatzung in Reinickendorf-Ost erlassen wird. In fast allen Bezirken Berlins gibt es bereits mehrere Milieuschutzgebiete, die zwar kein Allheilmittel, aber das schärfste Schwert gegen sozial-räumliche Verdrängung auf Bezirksebene darstellen und die Linksfraktion begrüßt, dass sich der Bezirksbürgermeister Herr Balzer in der BVV aufgeschlossen gezeigt hat, wenn eine soziale Erhaltungssatzung für das Gebiet östlich und westlich der Residenzstraße erlassen würde.

Ein anderes wichtiges Projekt der Linksfraktion besteht darin, dass die einzige Gemeinschaftsschule in Reinickendorf zum nächsten oder übernächsten Schuljahr endlich bis zum Abitur führt. Alle Parteien haben das bildungspolitische Ziel, die Abiturquote zu erhöhen. Die Senatsverwaltung für Bildung hat ermittelt, dass es schon jetzt zu wenige Sekundarstufen II in Reinickendorf gibt und angesichts aktueller Bevölkerungsprognosen wird der Bedarf noch zunehmen. Aus meiner Sicht ist die Gemeinschaftsschule im MV streng genommen keine, weil die Möglichkeit des gemeinsamen Lernens bis zum Abitur ebenso ein Grundprinzip von Gemeinschaftsschule ist, wie die individuelle Förderung und Binnendifferenzierung. Gerade das Märkische Viertel mit seinem erschreckend hohen Niveau an Kinderarmut braucht dringend mehr Chancengerechtigkeit im Bereich der Bildung und deshalb eine voll entwickelte Gemeinschaftsschule. Die aktuelle Situation stellt hingegen eine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der Gemeinschaftsschule im MV dar, weil viele Eltern ihre Kinder nicht einschulen oder von der Schule nehmen, da sie dort kein Abitur machen können. In allen anderen Bezirken Berlins bestehen bereits seit Jahren, erfolgreich arbeitende Gemeinschaftsschulen. Die Linksfraktion lehnt eine ideologisch begründete Blockadehaltung in dieser Frage und generell Kulturkämpfe im Bereich der Bildung – sei es gegen Gemeinschaftsschulen oder gegen Gymnasien – ab. Im Interesse der unterschiedlichen Bedürfnisse von Eltern und Schülerinnen und Schülern im Bezirk muss es auch in Reinickendorf unterschiedliche Schulformen geben und die Linksfraktion wird immer dafür streiten, dass die im Grundgesetz verankerte freie Schulwahl auch in der Praxis gilt.“

Berlin-City-Report: Vielen Dank für Ihre Ausführungen. Wenn einer unserer Leser eine Nachfrage an Sie hat oder Ihnen eine Anregung geben möchte, wie kann man Sie erreichen?

Felix Lederle: „Auch ich möchte mich für das Gespräch bedanken. Ich bin jederzeit gut per Mail an felix.lederle(at)die-linke-berlin.de
erreichbar. Telefonisch erreicht man mich unter der Nummer 030-24009370. Jeden Mittwoch bietet die Linksfraktion in ihrem Büro im Rathaus (Neubau, Raum 11) zwischen 14 Uhr und 16 Uhr eine Bürgersprechstunde an. Die Sitzungen der Linksfraktion sind öffentlich und finden im Rathaus oder in der Regionalgeschäftsstelle der LINKEN statt. Die Termine finden sich auf der Webseite der BVV oder der Webseite sowie der Facebook-Seite der Fraktion und Partei DIE LINKE Reinickendorf.“ (Das Gespräch führte Volkert Neef/Foto: VTN)