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Stefan Kleinert (li.), Thomas Seerig und Franziska Brychcy/Fotos: Ralf Flucke

Im Steglitzer Zimmertheater in der Bornstraße gab es am 11. März eine Premiere der besonderen Art. Intendant Günter Rüdiger rief ein neues Format aus. Gleich zwei politisch Verantwortliche standen beim „Talk im Zimmertheater Steglitz“ auf der Bühne. Beide Politiker gehören dem Berliner Abgeordnetenhaus an. Franziska Brychcy ist Mitglied der Partei Die LINKE. Sie ist Stellvertretende Landesvorsitzende der LINKEN sowie Bezirksvorsitzende ihrer Partei in Steglitz-Zehlendorf. Die Abgeordnete ist Mitglied in den Ausschüssen für Wissenschaft und Forschung; im Petitionsausschuss und im Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie. Der FDP-Politiker Thomas Seerig ist Stellvertretender Bezirksvorsitzender seiner Partei in Steglitz-Zehlendorf. In der Fraktion ist er Mitglied in den Ausschüssen für Integration, Arbeit und Soziales sowie Gesundheit, Gleichstellung und Pflege. Zudem gehört er dem Präsidium des Abgeordnetenhauses an. Bereits von 1990 bis 1995 gehörte der Liberale dem Landesparlament an. Die Moderation lag in den Händen des Schauspielers und Regisseurs Stefan Kleinert. Für die angenehme musikalische Unterrahmung dieses Talks sorgte Dirk Morgenstern am Piano.

In seiner Anmoderation betonte Stefan Kleinert: „Nun gehen 5 Monate politische Unsicherheit bald vorbei. Und für das neue Heimatgefühl wird demnächst Horst Seehofer sorgen.“ Der Moderator konnte den beiden Abgeordneten in knapp 90 Minuten viele Dinge entlocken, die den Bereich der Politik nicht betrafen. So gab Thomas Seerig zu, dass er mit seiner „Krankheit offen lebe. Ich muss es ja auch. Man sieht sie mir ja an.“ Der Parlamentarier leidet unter Muskelschwund. Er sagte: „Besonders regt mich auf, wenn gerade bei S- und U-Bahnen Fahrstühle und Rolltreppen nicht funktionieren. Ein ganz herausragendes negatives Beispiel war die S-Bahnstation Anhalter Bahnhof. Ein halbes Jahr lang funktionierte dort die Rolltreppe nicht. Im Warenhaus, zum Beispiel im KaDeWe, spricht man von Kundenrolltreppe. Stellen Sie alle sich einmal vor, im KaDeWe würde ein halbes Jahr lang die Rolltreppe nicht funktionieren.“ Stefan Kleinert hakte gleich nach und stellte die Frage, ob es einen Unterschied zwischen S-Bahn und BVG gebe, was das Nicht-Funktionieren von Rolltreppen und Fahrstühlen betrifft. „Ja, da gibt es Unterschiede,“ so der Parlamentarier. „Die BVG ist da schneller beim Beheben von Pannen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, die S-Bahn fühlt sich immer noch als Staatskonzern und so arbeitet man dort auch defekte Fahrstühle und Rolltreppen ab.“ Hier scheint der Kunde als lästiger Faktor nur vorhanden zu sein. „Die S-Bahn sitzt Probleme wohl lieber aus.“ Auch mit dem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk RBB ging Thomas Seerig hart um. Er hat kein Verständnis dafür, dass die so stark frequentierte TV-Sendung Abendschau ohne Gebärdendolmetscher gezeigt wird. Nur „auf dem Sender Phoenix ist die ZDF-Nachrichtensendung „heute“ mit Gebärdendolmetscher zu sehen. Das ist ein viel zu kleines Angebot für die gehörlosen Mitbürgerinnen und Mitbürger.“ Keinerlei Hemmungen hatte der Liberale, einmal die Berliner Regierungskoalition aus SPD-LINKEN-GRÜNEN zu loben. „Ab Herbst werden die Debatten im Abgeordnetenhaus von einem Gebärdendolmetscher begleitet. Die Landesregierung hat das auf den Weg gebracht, das begrüße ich ausdrücklich.“ Die LINKEN-Abgeordnete Brychcy widmete dem Thema Armut Gehör. „Armut ist ein Thema, dass schon lange eine große Rolle spielen sollte. Armut gab es immer schon. Das hat mit Migration nichts zu tun. Viele Arme sehen schon gar keine Perspektive mehr, da heraus zu kommen.“ Thomas Seerig stimmte hier auch größtenteils seiner Kollegin zu. „Die Kernaussage stimmt. Armut kennt man, sogar im Bezirk Steglitz-Zehlendorf sieht man sie. Es gibt arme Menschen, unabhängig davon, ob wir Flüchtlinge hier haben oder nicht.“ Großes Versagen erkennt er im Bezirk Steglitz-Zehlendorf. „Eine Sensibilität für Armut, für Obdachlose ist von den Bezirksverantwortlichen kaum oder gar nicht vorhanden.“ Zu oft reden sich Bezirksverantwortliche schlicht damit heraus, man müsse hier im wohlhabenden Bezirk nichts für Obdachlose tun, weil das ja nur ein Problem in Bereichen des Bahnhofs Zoo in Charlottenburg und des Bahnhofes Lichtenberg oder Ostbahnhof sei. Man müsse alles dafür tun, „dass nicht über Generationen Menschen am sozialen Tropf hängen.“ Da ist und wird immer Bildung der Schlüssel zum Erfolg und gegen Armut sein. Mit Sorge betrachte er, dass in Berlin fast jedes 3. Kind von Armut betroffen ist. „Auffallend ist, in den SPD-regierten Städten Bremen und Berlin finden wir die traurigen Spitzenwerte der deutschen Kinderarmut. Bremen und Berlin mit je über 30 Prozent armen Kindern. Ich frage mich, ob ein ehemaliger Bundeskanzler wie Gerhard Schröder heute noch so einen Aufstieg, wie er ihn hingelegt hat, durchziehen könnte?“ Das Publikum wurde vom Moderator mit einbezogen und konnte sich auch zu Wort melden. Ein Gast wollte wissen, ob Politik überhaupt viel erreichen könne. Thomas Seerig antwortete: „Es gilt der Grundsatz: Vorbereitet sein, aber man darf keine Steuergelder verbrennen! Das sieht man am Beispiel der ehemaligen Hallen der Firma „Tetra pak“ in Reinickendorf, wo man die Hallen als Unterkünfte für Flüchtlinge nutzen wollte.“ Wie bekannt, der Senat hatte auf 5 Jahre den Mietvertrag mit dem Eigentümer abgeschlossen, um Flüchtlinge vor Obdachlosigkeit zu schützen. Das Gebäude erwies sich als ungeeignet für eine menschenwürdige Unterkunft. Zudem braucht man aufgrund rückläufiger Flüchtlingszahlen diese Unterkunft gar nicht mehr. Nur, aus dem Vertrag kommt der Senat nicht heraus und muss Steuergeld dafür ausgeben. Das Thema Wohnungen sprach Franziska Brychcy an. „Wir brauchen Wohnungen für Menschen, die auf dem Wohnungsmarkt leer ausgehen. Wohnen und Mieten bleibt in den nächsten Jahren ein wichtiges Thema. Mein Augenmerk gilt auch den Studenten. Kaum ein Student findet heutzutage noch eine klassische Studentenbude. Findet man wirklich noch was, ist es nicht finanzierbar.“ Für sie ist „Hartz-4 Armut per Gesetz. Eine Umverteilung ist notwendig, dann kann man auf Tafeln verzichten. Der Hartz-4-Satz muss ausreichen, um gut leben zu können.“ Klar sprach sich die LINKEN-Politikerin für eine Millionärssteuer aus. Im Publikum traf man auch die Schauspielerin Tanja Arenberg an. Sie erklärte zum Vorgang der Tafel im nordrhein-westfälischen Essen, die keine ausländischen Bedürftigen mehr versorgen will: „Es ist doch skurril, wenn im reichen Deutschland sich Einheimische und Ausländer um abgelaufene Lebensmittel streiten.“ Bei Franziska Brychcy und Thomas Seerig herrschte auch Übereinstimmung bei der von Beiden nicht gewünschten Videoüberwachung in Berlin. Die LINKEN-Politikerin sagte: „Bei allem Respekt, dass schreckliche Attentat am Breitscheidplatz hätte man auch mit Videoüberwachung nicht verhindern können.“ Stefan Kleinert fragte, ob beide Abgeordnete sich vorstellen können, mal in einer gemeinsamen Regierung sich wiederzufinden. Beide sahen da im Moment noch nicht so viel Übereinstimmungen, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Immerhin ging es demokratisch, sachlich, lehrreich im Zimmertheater zu und der Humor kam keineswegs zu kurz. Ein guter liberaler-linker Anfang sozusagen. Ein Abend ohne Langeweile, mit einer besonderen Premiere. Auf der Bühne traf man drei Akteure, von denen nur einer Künstler von Beruf ist. Thomas Seerig teilte mit: „Mit großer Freude schaue ich am 20. April im Zimmertheater vorbei. Dann wird Stefan Kleinert beim „Talk im Zimmertheater“ den Hausherrn, den Intendanten Günter Rüdiger, befragen. Ich werde dann vom Publikumssessel aus mir ansehen und anhören, was der Schauspieler, Sänger und Theaterdirektor Günter Rüdiger dem Moderator und den Gästen so mitteilt.“ Mehr Details unter: www.zimmertheater-steglitz.de(Text: Volkert Neef/)