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„Geschichten aus dem Wienerwald“ in der Komischen Oper. Bild: Ingrid Müller-Mertens

Nach jedem Besuch einer Neuproduktion der Komischen Oper geht man mit dem mehr oder weniger überwältigten Gefühl nach Hause: Das ist nun wirklich nicht mehr zu toppen. Eigentlich ist jetzt alles ausgereizt. Und jedes Mal wird man eines Besseren belehrt. So auch mit der Vertonung von Ödön von Horváths abgründig-melancholischem Volksstück „Geschichten aus dem Wiener Wald“, das 1931 unter Intendant Max Reinhardt am Berliner Deutschen Theater uraufgeführt wurde. Eine brutal niederschmetternde Satire auf die vermeintlich heile Welt der Kleinbürger zwischen Wirtschaftskrise und aufkommendem Faschismus in der punktgenauen Polarisierung zwischen heuchlerischer „weanerischen“ Gemütlichkeit und brutaler Menschenverachtung, die aktueller nicht sein könnte.

Die Vertonung durch den österreichischen Komponisten HK Gruber, fordert nicht nur Chor und Solisten das Äußerste ab, auch der Zuhörer muss sich sozusagen auf eine musikalische Achterbahn einlassen, die mitunter an die Substanz geht und ob man will der nicht, in einen heftigen Gefühlsstrudel zieht. HK Gruber lässt sich als notorischer Querulant in keine Kompositionsschule einordnen. Seinen Werken ist nicht selten ein abgründiger, bisweilen morbider Humor zu eigen. In Geschichten aus dem Wiener Wald findet er neben augenzwinkernden Zitaten – von Johann-Strauss-Walzern bis zu Puccinis La Bohème – und den für ihn so typischen rotzig-frechen Tönen auch immer wieder zu sehr stillen, lyrischen Momenten. Der heute 73jährige Gruber, der sich fernab von Kompositionsdoktrinen darin versteht, Melodiöses mit neuen Klangwelten zu vereinen, hat in seiner Oper größtes Feingefühl für die Horváth’schen Charaktere bewiesen. Die
In Szene gesetzt hat die zuweilen haarsträubende Handlung der polnische Regisseur Michał Zadara , der das originale Horváthsche Personal zeitgemäß bekleidet, tätowiert und gepirct auf einem Grillplatz am Stadtrand, in einer Tankstelle oder mittels frappierender Videoinstallationen in den düsteren Großstadtvierteln agieren läßt. Nicht der vielbesungene Wiener Wald mit Schrammelseligkeit und Heurigem bietet die konträre Kulisse zu den akribisch freigelegten menschlichen Abgründen, sondern eine konsumorientierte Welt, in der die richtige Automarke zählt und in der sich das Kleinbürgertum angesichts des drohenden gesellschaftlichen Abstiegs radikalisiert. Alles dreht sich ums Haben–nichts ums Sein. Eine gespenstische Szenerie, in der jeder Traum von einem bescheidenen Glück tragisch enden muss.(Text/Fotos: Ingrid Müller-Mertens)

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