Foto: Bozena Behrens
Kalendarisch und meteorologisch hat der Herbst begonnen. In der deutschen Wirtschaft ist das Logistikklima zu den Werten des Frühjahrs zurückgekehrt. Fünf Wochen vor dem 32. Deutschen Logistik-Kongress, der vom 28. bis zum 30. Oktober 2015 in Berlin stattfindet und zu dem über 3.000 Teilnehmer aus 40 Nationen aus Industrie, Handel, Dienstleistung, Wissenschaft und Gesellschaft erwartet werden, sind die Experten nur verhalten positiv: Die Logistikdienstleister bewerten die derzeitige wirtschaftliche Lage und die Aussichten für die kommenden zwölf Monate etwas weniger optimistisch als noch im zweiten Quartal dieses Jahres. Industrie und Handel sehen ebenfalls eine leichte Abkühlung, doch bleiben alle Indikatoren für das dritte Quartal deutlich im expansiven Bereich.
Die Flüchtlingsströme und die Wiedererrichtung von Grenzkontrollen machen sich in Teilen der globalen Warenflüsse und bei den Dienstleistern bemerkbar, die diese verantwortlich abwickeln. Die Hilfsbereitschaft der Logistikverantwortlichen ist allgemein groß. Beispielsweise unterstützen die BVL-Mitglieder die Initiative „Logistik geht voran“: Unternehmen können online freie Stellen, Praktikums- und Ausbildungsplätze speziell für Flüchtlinge anmelden. Weil es aufgrund der Asylgesetzgebung schwierig ist, Flüchtlinge direkt ins Unternehmen zu holen, werden die Stellenangebote an Arbeitsagenturen und Vermittlungsstellen in den jeweiligen Regionen weitergeleitet. Aktuell sind 356 freie Stellen verfügbar.
Die Dynamik des gesamten Welthandels wird weiterhin durch die wirtschaftliche Entwicklung in den Schwellenländern beeinflusst, insbesondere in China. Die Schlagzeilen über einen möglichen Einbruch der chinesischen Produktion und Zweifel an der dortigen Wachstumsdynamik, verbunden mit ungewissen Auswirkungen auf die Weltkonjunktur, scheinen von Deutschlands Logistikwirtschaft besonders wahrgenommen worden zu sein. Fakt ist aber: Mit einem Anteil von 6,6 Prozent an den deutschen Ausfuhren war China in 2014 lediglich der viertwichtigste Kunde Deutschlands.
Sonstige geopolitische Krisenherde, beispielsweise anhaltende Spannungen im Verhältnis zwischen Russland und der EU, rückten zuletzt in den Hintergrund und dürften daher kaum Einfluss auf die Logistikkonjunktur haben. Die steigende Nachfrage aus den USA, deren Wirtschaftskraft laut DIW im zweiten Quartal um 3,7 Prozent gewachsen ist, und die moderat, aber stetig wachsende Nachfrage aus Europa verursachen positive Effekte: Im August wurden in der deutschen Industrie so viele neue Jobs geschaffen wie zuletzt im Jahr 2012. Der Einkaufsmanager-Index befindet sich auf einem 16-Monats-Hoch, seit neun Monaten legt der Auftragseingang in Industrie und Handel zu. Die anhaltend moderaten Rohstoffpreise wirken zusätzlich wie ein Konjunkturprogramm. Bei den Aussichten für das kommende Quartal rechnen gut 40 Prozent der Logistikdienstleister und gut 30 Prozent der Anwender aus Industrie und Handel mit besseren Geschäften.
Mit der aktuellen Befragung wurden die Teilnehmer um ihre Einschätzung zur Digitalisierung gebeten, welche die Wirtschaft zurzeit in allen Bereichen bewegt und sogar etablierte Geschäftsmodelle in Frage stellt. Industrie und Handel scheinen der Digitalen Transformation mehr Bedeutung beizumessen als die Logistikdienstleister. Bei den Anforderungen an die Mitarbeiter/innen, aber auch bei den Angeboten liegen Industrie und Handel vorne: Analytisches Verständnis und vernetztes Denken liegen an erster Stelle der Qualifikationsprofile, dicht gefolgt von Kommunikationsstärke, unternehmerischem Denken und der Fähigkeit zu schnellen Entscheidungen. Im Ranking der Maßnahmen, die ergriffen werden, um den Mitarbeiter/innen den Umgang mit der Digitalisierung zu erleichtern, stehen flexible Arbeitszeiten, Weiterbildung sowie die Delegation von Verantwortung als die drei wichtigsten Erfolgsfaktoren an der Spitze.
Kommentar von Prof. Dr.-Ing. Raimund Klinkner
zum Logistik-Indikator, III. Quartal 2015