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Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué

Das Gaidar-Naumann-Forum lud am 26. November 2015 in Kooperation mit dem Deutsch-Russischen Forum e.V., der Yegor Gaidar Stiftung und der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit zu einer Tagung in ein Hotel in Berlin-Mitte ein. Das Motto der Veranstaltung lautete: „Deutsch-Russische Beziehungen unter geänderten Vorzeichen – Wirtschaftskooperation in Zeiten von Sanktionen und neuen Allianzen.“

Es ist unstrittig, die deutsch-russischen Beziehungen befinden sich auf einem Tiefpunkt und die Entwicklung des Handelsvolumen ist dramatisch negativ. Doch welches Ausmaß haben die Sanktionen tatsächlich und kann die Zusammenarbeit der EU mit der Eurasischen Wirtschaftsunion zur Überwindung der politischen Eiszeit beitragen? Was alles können wir heute noch vom Wirtschaftsexperten und russischen Reformpolitiker Jegor Gaidar lernen? Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué eröffnete mit seinem Statement die Tagung. Der Wirtschaftswissenschaftler gehört dem Vorstand der Friedrich-Naumann-Stiftung an. Der gebürtige Saarbrücker war von 2003-2007 Finanzminister des Bundeslandes Sachsen-Anhalt und gehörte von 2002-2008 dem Landtag an. Von 2006-2008 führte er die FDP-Fraktion an. Prof. Paqué betonte: „Seit unserem Treffen vor zwei Jahren hat es bedeutende Veränderungen gegeben. Die gesamte Weltlage hat sich in den letzten zwei Jahren drastisch verändert.“ Ferner sagte er: „Russland ist kein Land, dass außerhalb unserer Wertevorstellung liegt. Sanktionen haben immer Vor- und Nachteile. Es muss auch die Frage gestellt werden: Richten Sanktionen wirtschaftlichen Schaden an? Wenn dem so sein sollte, lautet die nächste Frage: Für wen entsteht dieser Schaden?“ Der ehemalige Staatsminister warf auch die Frage auf, ob es nicht gerade „die zivilen Kontakte sein können, die das Eis zum Schmelzen bringen?“ Boris Mints ist Vorsitzender des Vorstands der Yegor-Gaidar-Stiftung. Er wies darauf hin, dass „bis zu 150.000 deutsche Arbeitsplätze schon den Sanktionen zum Opfer gefallen sind. Große Projekte von deutschen Weltunternehmen wie Siemens sind in den Bereichen Eisenbahnausbau und Flughafenbau vollkommen zum Erliegen gekommen.“ Bei Gemeinschaftsprojekten von internationalen Konzernen aus aller Welt sei zu beobachten, das deutsche Unternehmen müsse sich zurückziehen und werde sofort von einem anderen ersetzt. Ist beispielsweise eine Großbaustelle, wie es beim Bau eines Flughafens der Fall ist, in den Händen von Firmen aus Japan, Deutschland, Neuseeland, Brasilien und Australien, geht der Bau problemlos weiter. Deutsche Ingenieure verlassen das Projekt, in Windeseile füllen die Ingenieure aus den anderen beteiligten Ländern die Lücken. Es hat auch Fälle gegeben, wo deutsche Unternehmer Russland verließen und Fachleute aus einem bisher noch nicht am Bauprojekt beteiligten Land kommen sofort. Sehr oft ist das jetzt bei Experten aus China zu beobachten. „Die nicht übersehbaren Risiken für die deutsche und russische Seite führen zu Krisen und Stillstand. Das wünscht sich doch keiner, weder Russland noch Deutschland.“ Botschafter a.D. Dr. Ernst-Jörg von Studnitz ist Ehrenvorsitzender des Deutsch-Russischen Forum e. V. Er erklärte: „Nichts ist in der momentanen Situation wichtiger als das miteinander geredet wird.“ Als „ganz groben Fehler“ bezeichnete er das die G 8-Gespräche jetzt ohne Russland stattfinden und nur noch G 7 Gespräche sind. Auch das keine NATO-Konferenzen mehr mit russischer Beteiligung stattfinden ist eine bedauerliche Entscheidung der NATO-Staaten. Ein weiterer ehemaliger Staatsminister kam mit Prof. Dr. Andreas Pinkwart zu Wort. Der FDP-Politiker war von 2005-2010 Wissenschaftsminister des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen und zugleich stellvertretender Ministerpräsident.. Der Wirtschaftswissenschaftler ist Rektor an der Handelshochschule Leipzig. Nach seiner Einschätzung „leiden Betriebe, gerade die mittelständischen, in den Neuen Bundesländer viel mehr unter den Sanktionen als in den alten.“ Traditionell haben auf dem Gebiet der ehemaligen DDR die dort angesiedelten Betriebe sehr gute Beziehungen zu Ländern der ehemaligen UdSSR. Das sei geschichtlich begründet und auch damit, dass die Entfernung von Dresden nach Moskau oder Taschkent kürzer ist als von Köln aus. Sein Credo lautete: „Wir müssen den Handel gerade jetzt stärken.“ Er erinnerte daran, dass schon der große Wirtschaftskapitän Otto Wolff von Amerongen (1918-2007) zu Zeiten der deutschen Teilung immer wieder den Handel in den Vordergrund stellte, wenn es darum ging, dass Staaten sich näherkommen. Auf das deutsch-russische Verhältnis bezogen muss es ja lauten, sich wieder näherkommen. Prof. Pinkwart beendete seine Ausführungen mit der Aussage: „Eine dauerhafte Strukturkrise Russlands kann auch nicht in unserem Interesse liegen.“ Russland ist immer noch politisch, wirtschaftlich, geographisch und strategisch ein Riesenreich, daran ändern auch Sanktionen nichts. Ein Gast aus Russland erheiterte mit seinem Statement, dass so viel Wahrheit enthielt: „Ich bin jetzt Mitte 50 und habe als Kind und junger Mann alle Entbehrungen in der kommunistischen Sowjetunion erlebt. Wir wurden, notgedrungen natürlich, zur Schlichtheit und Bescheidenheit erzogen. Glaubt man wirklich im Westen, man kann einem Russen mit Sanktionen drohen oder beeindrucken?“ Ob es auch ethisch-moralisch verantwortbar ist, in EU-Ländern Obst, Gemüse und Kartoffeln zu unterpflügen, weil man diese Lebensmittel nicht mehr in Russland absetzen darf? Während in Ländern der 3. und 4. Welt tagtäglich Menschen den Hungertod sterben vernichten wir satten Westeuropäer Lebensmittel. Schon der kürzlich verstorbene Berliner Ehrenbürger und ehemalige Bundesminister Egon Bahr (SPD) tat diese Weisheit kund: „Wer redet, schießt nicht aufeinander.“ Es muss also wieder mehr geredet und mehr Handel getrieben werden im Deutsch-Russischen Verhältnis. Nach der Tagung sprachen wir mit Staatsminister a. D. Prof. Pinkwart. Er zog folgendes Fazit: „Es war eine sehr lehrreiche und beeindruckende Veranstaltung. Man hat wirklich von allen zu Wort gekommenen Teilnehmern und auch von den Fragestellern aus den Reihen des Publikums sehr viel wissenswertes erfahren.“ (Text/Bild: VTN)