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Dr. Hans Ernst Richter (li.) u. Dr. Christoph Niering

Der Verband Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) ist der Berufsverband der in Deutschland tätigen Insolvenzverwalter. Der VID vertritt fast 500 Mitglieder und damit die überwiegende Mehrheit dieser Berufsgruppe. Am 2. November begann der dreitägige Kongress des VID in Berlin-Charlottenburg. Der Vorsitzende Dr. jur. Christoph Niering ist Fachanwalt für Insolvenzrecht. In zwei Jahrzehnten Berufstätigkeit hat er über 2.000 Insolvenzverfahren betreut. Neben seiner Tätigkeit als Dozent ist Dr. Niering auch als Sachverständiger des Deutschen Bundestages für Fragen zum Insolvenzrecht tätig. Er leitet den Verband seit 2011. Wie hoch angesiedelt der VID für de Politik ist, lässt sich daran entnehmen, dass der Parlamentarische Staatssekretär aus dem Bundesjustizministerium, Christian Lange, die Grußworte persönlich überbringen wird. Am 2. November fand eine Pressekonferenz des VID statt, an der neben Dr. Christoph Niering auch Oberstaatsanwalt a. D. Dr. jur. Hans Ernst Richter teilnahm. Bis letztes Jahr hat er die fünf Schwerpunktabteilungen für Wirtschaftsstrafsachen der Staatsanwaltschaft Stuttgart geleitet. Seit über 30 Jahren veröffentlicht er in zahlreichen Fachbüchern und Fachzeitschriften Beiträge zum Thema Wirtschaftsrecht.

Die Pressekonferenz stand unter dem Motto: „Catch me if you can – Die schwarzen Schafe im Trockenen?“ Gleich am Anfang seiner Ausführungen betonte Dr. Niering: „Wir haben bewusst eine zugespitzte Überschrift für die Einladung zum heutigen Pressegespräch gewählt. Es geht nicht um das alte Thema „die Großen lässt man laufen, die Kleinen hängt man auf“. Aus der Sicht des Berufsverbandes der deutschen Insolvenzverwalter und auch aus meiner persönlichen, über zwanzigjährigen Erfahrung aus vielen tausend Insolvenzverfahren, muss es heißen: „Nicht nur die Großen, sondern auch die Kleinen lässt man laufen.“ Der Vorsitzende belegte seine Ausführungen mit Zahlen. „Bei 24.085 Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2014“ verurteilten deutsche Richter gerade einmal 1.784 Verantwortliche wegen mindestens einer Konkursstraftat. Diese „Verurteilungsquote von unter 6 Prozent ist ein verschwindend kleiner Prozentsatz.“ Der VID-Vorsitzende kritisierte auch das geringe Strafmaß, dass diese Kriminellen erhalten. „Freiheitsstrafen, selbst zur Bewährung, sind eher die Ausnahme als die Regel. Nur in sehr seltenen Fällen kommt es zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung.“ Ein Extrembeispiel konnte der Fachanwalt für Insolvenzrecht benennen. Eine börsennotierte AG hatte drei Jahre lang keine Jahresabschlüsse aufgestellt und testieren lassen. Nach der Insolvenz meldeten die Gläubiger über zwei Milliarden Euro an Forderungen an. Rechtswidrig genehmigten sich Vorstand und Aufsichtsrat kurz vor der Insolvenz noch eine Erfolgsprämie. Es kam zur Anklage und zur Verurteilung. So sah das Urteil aus: Vorstand und Aufsichtsrat mussten nur die Erfolgsprämie zurückzahlen. Dazu durften sie sich sogar per Monatsraten entschließen. Das Gericht verlangte nicht, diese Summe ad hoc und auf einmal zu zahlen. Solche milden Urteile führen nicht zu mehr Respekt vor der Justiz. Dr. Richter sagte: „Herr Dr. Niering und ich stoßen ins gleiche Horn.“ Er als langjähriger Oberstaatsanwalt habe all diese Erfahrungen gemacht. Oft sei es nicht der böse Wille oder die Überlastung einer völlig unterbesetzten Staatsanwaltschaft. Im Jurastudium habe kaum eine Studentin oder ein Student gelernt, eine Bilanz zu lesen und zu verstehen. Wirtschaftsstrafsachen sind nun auch nicht der große Renner in Gerichtssälen. Es gibt die seltenen Ausnahmen wie bei Anton Schlecker oder Thomas Middelhoff. Mit einem spektakulären Raub bei einem Juwelenhändler und dieser Anklage gegen die Verbrecher genießt jeder Staatsanwalt mehr mediale Aufmerksamkeit als bei einem Wirtschaftsstrafverfahren. Dazu kommt noch ein Faktor: Ob ein Konkurs rechtswidrig hinausgezögert worden ist oder man daran so geschraubt hatte, dass es unweigerlich zum Konkurs kommen musste, ja sollte: Geld für Staranwälte haben diese nicht ehrbaren Kaufleute und Unternehmer zufällig immer noch. Dr. Richter sprach sich dafür aus, spezielle Strafverfolgungsbehörden für Wirtschaftsstrafsachen einzusetzen. Er selber gibt dafür ein gutes Beispiel ab. Der Oberstaatsanwalt a. D. hat auch erfolgreich Betriebswirtschaftslehre studiert und darf sich Diplom-Betriebswirt nennen. Ist ein ermittelnder Staatsanwalt auch ausgebildet in Buchführung, dem Lesen von Bilanzen und kennt alle Tricks von betrügerischen Buchhaltern, haben es die Kriminellen erheblich schwerer, ihren dunklen Absichten nachzugehen. Eines stellte Dr. Richter aber klar: „Es geht uns nicht darum, einen Unternehmer zu verteufeln, der in Konkurs gegangen ist. Ein Konkurs kann passieren und darf kein Makel bis ans Lebensende für ihn sein. Man kann als Unternehmer, als Kaufmann, auch redlich in Konkurs gehen. Das ist ethisch nicht verwerflich. Diese Menschen haben eine zweite Chance verdient. Keine zweite Chance hingegen haben kriminelle Elemente verdient. Diese Täuscher, Trickser und Betrüger sind gemeint. Um sie, und nur um sie, geht es. Sie müssen verfolgt und bestraft werden.“ (Text/Foto: VTN)