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BaW 1 Ministerium

2. Foto: Verkehrsminister Baden-Württemberg, Winfried Hermann

Mit über 11 Millionen Einwohnern zählt Baden-Württemberg zu den ganz großen deutschen Bundesländern. Eines seiner wirtschaftlichen Aushängeschilder ist die Automobilindustrie. Die noblen Marken Daimler und Porsche sind im „Ländle“ zu Hause. Die Autofirmen bieten vielen tausenden Menschen Arbeit. Daher ist es folgerichtig, politische, besonders umweltpolitische, Entscheidungen auch unter dem Aspekt der Sicherung von Arbeitsplätzen in der Automobilproduktion zu betrachten. Natürlich ist das sehr oft ein Spagat, den Politiker vollbringen müssen. Sie sollen die Umwelt schonen und schützen, aber bitte nicht Arbeitsplätze, zumal die sehr gut bezahlten in der Metallindustrie, abbauen. Winfried Hermann (GRÜNE) ist in Baden-Württemberg der Minister für Verkehr.

Der GRÜNEN-Politiker, der auch dem Landtag angehört, lud im Oktober Pressevertreter in sein Ministerium nach Stuttgart ein. Die Pressereise für Medienvertreter hatte die in Berlin-Charlottenburg ansässige „NOW-GmbH“ ins Leben gerufen. NOW steht für „Nationale Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie“. Ihre Aufgabe ist es, das Nationale Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP) der Bundesregierung und die Förderrichtlinien Elektromobilität sowie Ladeinfrastruktur (LIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) zu koordinieren und zu steuern. Sie unterstützt im Auftrag des BMVI außerdem bei der Weiterentwicklung der Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie (MKS), der Umsetzung der EU Richtlinie 2014/94/EU über den Aufbau von Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (Clean Power for Transport, CPT). Die NOW hat die Aufgabe, Projekte zu initiieren, Anträge zu evaluieren und Themen so zu bündeln, dass Synergieeffekte genutzt werden können. Minister Herman betonte, es gelte „Mobilität klima- und menschenfreundlich zu gestalten. Das gehört zu den wichtigsten Aufgaben unserer Zeit.“ Das Bundesland Baden-Württemberg möchte das Vorzeigebundesland in Sachen „Neuer Mobilität“ sein. Die „Neue Mobilität“ muss klimaverträglich, umweltverträglich, sozial, bezahlbar und wirtschaftlich effizient sein. Ebenso muss sie Lebensqualität sichern. „Unser Ministerium erhebt schon den Anspruch, neue Entwicklungen voranzubringen. Dazu zählt ganz besonders die E-Mobilität. Sie ist in Baden-Württemberg hoch aufgehängt.“ Winfried Herman nannte Zahlen einer wissenschaftlichen Untersuchung: „2017 stammten in Baden-Württemberg die energiebedingten CO2-Emissionen zu 33 Prozent aus dem Bereich des Verkehrs. Die Industrie schlug nur mit knapp der halben Zahl zu Buche, nämlich mit 17 Prozent.“ Das belegt, die Dreckschleuder Nummer 1 ist nicht die böse Industrie, es ist der Verkehr. Das sind letzten Endes WIR. Jeder von uns entscheidet, ob er zum Briefkasten oder zum Kauf der gerade ausgegangenen Zigaretten mal eben schnell mit dem PKW sich aufmacht oder per Rad oder zu Fuß. „Wir brauchen eine andere Kultur der Mobilität. Es muss unser Ziel sein, rund 1/3 weniger Autos in den Innenstädten vorzufinden.“ Damit sich das umsetzen lässt, muss der ÖPNV „attraktiv sein, dazu zählen für mich auch die Bereiche Sauberkeit und Pünktlichkeit. Tarife müssen auch überschaubar sein. Einst hatte Stuttgart 52 Tarifzonen, heute sind es immer noch 5.“ Zum guten ÖPNV zählen auch abgesprochene Takte. Kommt der Zug am kleinen Bahnhof beispielsweise an und der Bus im Dorf ist vor 5 Minuten abgefahren und man soll eine dreiviertel Stunde bei Wind und Wetter auf den nächsten Bus warten an der Haltestelle, lockt das nicht gerade zum Umsteigen auf Busse und Bahnen an. Eine eigens dazu konzipierte App soll u. a. das Umsteigen vom Auto auf Busse und Bahnen erleichtern. Die App trägt den Namen „bwegt.“ So gilt in ganz Baden-Württemberg beispielsweise seit Dezember 2018: Ein einziger Fahrschein berechtigt dazu, verbundübergreifend zu fahren. Es ist dabei auch völlig unerheblich, ob es sich um Busse, Straßenbahnen, U-Bahnen oder Züge handelt. Ein Ticket kann man in der Tasche haben, es gilt in Stuttgart genauso wie in Mannheim oder Heilbronn beispielsweise. „Nur mit Angeboten dieser Art kommen wir dem uns gesetzten Ziel näher, um 40 Prozent die CO2-Reduzierung bis 2030 zu erreichen.“ Vor einer Illusion warnt der Minister, der weit über die Grenzen seines Bundeslandes als anerkannter Verkehrsexperte gilt, ausdrücklich: „Es kann nicht unser Bestreben sein, die Zahl der Autos mit Verbrennungsmotor, Stand von heute, durch E-Autos zu ersetzen. Am Ende dann haben wir mehr Autos, wenn auch alle mit E-Motoren ausgerüstet, auf den Straßen, als wir es heute schon haben. Man muss sich klarmachen, auch ein E-Auto braucht einen Stellplatz.“ Generell führe kein Weg daran vorbei, die Zahl der Autos zu verringern. Nochmals sprach er den ÖPNV an. Gerade im Schienenbereich der Bahn gebe es noch reichlich Luft nach oben. Viele Schienen warten seit Jahren darauf, modernisiert zu werden. Das Thema Oberleitung müsse auch mehr Beachtung finden. Es gibt in ganz Deutschland nur noch drei Orte, wo man Oberleitungsbusse antreffe. Das ist in Esslingen am Neckar der Fall, in Solingen und in Eberswalde. Diese Zahl muss man sich aber auch vor Augen halten: Mittlerweile kommt man auf 550 stillgelegte Oberleitungstrassen. Im Bundesland Baden-Württemberg findet man knapp 3.000 Ladepunkte für das E-Auto vor; es gibt 12 Tankstellen, die Wasserstoff anbieten. Also auch hier reichlich viel Luft nach oben! Die Verkehrspolitiker in Deutschland peilen an, demnächst bedeutend mehr Ladepunkte dem Bürger anbieten zu können. Das Ziel, das Minister Hermann vor Augen schwebt, lautet: Alle 20 Km trifft man bald eine Schnellladestation an. Wer E-Auto fährt, soll viele Vorteile genießen. Er zeigte das am Beispiel von Norwegen: E-Autofahrer zahlen in der Innenstadt keine Parkgebühr, außerdem zahlen sie weder eine Maut noch eine Tunnelgebühr. Man müsse auch von Anfang an die Bevölkerung mit dem E-Auto vertraut machen. Daher ist es begrüßenswert, wenn Fahrschulen auf E-Fahrzeugen ausbilden. Wer auf einem E-Auto lernt, kauft sich eher ein E-Fahrzeug als der Fahrschüler, der mit Benzin oder Diesel erste Fahrübungen durchgeführt hatte. Kein gutes Wort hatte er für die im Jahre 2009 durchgeführte Abwrackprämie parat. Die staatlichen Zuschüsse für Käufer von Neufahrzeugen hätten oftmals dazu geführt, dass eine kleine Rostlaube gegen einen großen PS-Schlitten eingetauscht worden ist. „Damals hatte man es leider versäumt, die E-Mobilität voranzubringen.“ Der Gesetzgeber hätte ja 2009 sagen können, nur wer sich ein neues E-Fahrzeug zulegt, profitiert von der Prämie. Dann wäre die Autoindustrie schon von sich aus viel eher auf die Idee gekommen, die Entwicklung des E-Motors voranzutreiben. An dieser Stelle bedankt sich unsere Redaktion noch einmal bei Verkehrsminister Winfried Hermann, der ein wirklich kompetenter und versierter Fachmann ist, für das Gespräch. (Text/Fotos: Volkert Neef)