Kiosk 2Foto: Bozena Behrens

Kioske gibt es in ganz Deutschland. Im Ruhrgebiet dagegen sind sie Kult. Man nennt sie hier Trinkhalle, Seltersbude oder nennt gefühlvoll den Namen des Betreibers. Im Ruhrgebiet geht man dann zu Onkel Jupp oder Tante Ilse. Der Name wird selbst dann noch verwendet, wenn der einstige Gründer des Kiosk schon lange nicht mehr unter den Lebenden weilt. Im Ruhrgebiet gibt es rund 15.000 Trinkhallen. Am frühen Morgen kann man dort frische Brötchen kaufen, viele Betreiber bieten mittags ein täglich wechselndes Stammessen an, am Nachmittag wird Kuchen verkauft und am Abend, oft bis Mitternacht, geht alles über den kleinen Ladentisch, was man im Haushalt gerade braucht aber vergessen hat, im Supermarkt zu besorgen.

Das können kleine Pakete Waschpulver sein, Briefumschläge, Fertiggerichte, Kaffeefilter, Milch oder Telefonkarten. Breit ist das Angebot in den kleinen Lädchen. Natürlich sind die Produkte ein „paar Groschen teurer“ als im Discounter. Dafür hat die Bude, die Trinkhalle, der Kiosk früher und länger geöffnet als der Supermarkt und dazu auch an Sonn- und Feiertagen. Im Kiez, wo jeder jeden kennt, können Stammkunden auch schon mal Bier und Zigaretten kaufen und anschreiben lassen. Am Geldtag kommen die Arbeitnehmer und Rentner und begleichen ihre Schulden. Viele Besitzer eines Kiosk sind auch so eine Art Seelenmasseure. Sie hören sich die Probleme der Kundschaft an, die schon froh darüber ist, dass einer ihnen zuhört. In einigen Bergarbeiterstädten des Ruhrgebiets erhielten nach dem Ersten Weltkrieg Kriegsversehrte die Konzession für einen Kiosk, um ihr Dasein fristen zu können. Witwen von unter Tage tödlich verunglückten Bergleuten erhielten ebenfalls diese so sehr begehrten Konzessionen. In Parks, auf Sportplätzen, in der Nähe von großen Bushaltestellen, neben Fabriken und im Wohnviertel siedelten sich die Trinkhallen an. Heute geht es es vielen Kiosk-Besitzern finanziell nicht mehr so gut wie noch in den 1980er Jahren. Durch die bereits in den 90er Jahren eingeführten längeren Öffnungszeiten im Einzelhandel, der mit dem „Langen Donnerstag“ begann und mit einem Ladenschluss an allen Werktagen bis 20 Uhr ausgedehnt wurde, ging der Umsatz und somit der Verdienst in der Trinkhalle zurück. Dazukommt, das viele Tankstellenpächter den Verkauf von Benzin und Schmieröl nur noch als Nebenprodukt ansehen. An der Zapfsäule wird mehr Geld mit dem Verkauf von Zigaretten, Lebensmitteln und Alkohol gemacht als über den klassischen Verkauf von Mineralöl. Die langen Öffnungszeiten im Trinkhallengewerbe können nur von Familienangehörigen durchgeführt werden. Müsste der Pächter Mindestlohn für fremde Angestellte zahlen, würde sich oftmals das Geschäft nicht lohnen. Eine alte Weisheit im Kohlenrevier lautet denn auch: Um Kiosk-Pächter zu werden muss man rechnen können, viele Kinder haben und die Finger vom Alkohol lassen. Das Ruhrgebiet möchte in 2016 allen Trinkhallenbesitzern für ihre guten Dienste danken. Daher hat die im westfälischen Dortmund ansässige Ruhr Tourismus GmbH 2016 zum „Jahr der Trinkhallen“ erklärt. Man würdigt diesen Wirtschaftszweig mit zahlreichen Ausstellungen, Oldtimer-Bustouren und vielen Aktionen. In 50 ausgewählten Kiosken im Ruhrgebiet findet am 20. August Kultur vor Ort statt. Da sind Auftritte von Schauspielern, Musikern, Komödianten an den Buden angesagt. Am 6. Mai wird in Hattigen/Ruhr im Industriemuseum Henrichshütte die Ausstellung „Zum Wohl. Getränke zwischen Kultur und Konsum“ eröffnet. Sie endet am 26. März. Die Trinkhalle von Emmy Olschewski steht hier im Mittelpunkt. Es wird auch dargestellt, was einst „in der Emmy ihrem Kiosk“, wie es im Ruhrpott-Dialekt heißt, verkauft wurde im Laufe von rund einhundert Jahren. Im Bochumer Industriemuseum Zeche Hannover findet vom 14. August bis zum 2. Oktober die Ausstellung „Die Trinkhalle in Geschichte und Gegenwart“ statt. Oldtimer fahren vom 23. bis zum 25. September 50 Trinkhallen im Ruhrgebiet an. Der Bochumer Schauspieler Giampiero Piria bietet äußerst erlebnisreiche und für dieses Region typische „Kioskwallfahrten im Ruhrgebiet“ an. Er spricht von „Kiosken als Ikone des Alltags im Ruhrgebiet.“ Die Trinkhallen gehören zum Ruhrgebiet wie die Zechen, Schalke 04, Borussia Dortmund, VfL Bochum, die Cranger Kirmes und die Brieftauben sowie die unvergessenen Künstler Tana Schanzara und Jürgen von Manger. Nun hat man diesem „Kind des Ruhrgebiets“ eine Ausstellung gewidmet. Die Menschen dort sagen dazu: „Datt habtt de fein jemacht.“ Recht haben sie!!

Alle Informationen unter:
www.ruhr-tourismus.de