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Bohumil Rericha, Vorstandsmitglied im Freundeskreis für Deutsch – Tschechische Verständigung/ Foto: VTN

Der 9. November ist ein Tag in der Deutschen Geschichte mit zahlreichen Facetten. Am 9.11.1918 rief der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann am Reichstag die Republik aus. Am 9. November 1923 wollte sich Hitler an die Macht putschen, am 9. November 1938 prügelten Nazis jüdische Mitbürger zu Tode und zündeten Synagogen an. Am 9. November 1989 fiel die trennende Mauer in Deutschland. Am 9. November 2015 erinnerte der Bezirksbürgermeister von Reinickendorf, Frank Balzer (CDU) zusammen mit Vertretern aus dem tschechischen Lidice an Gräueltaten, an das, was Menschen anderen Menschen angetan haben. Zuerst allerdings erinnerte er an den stellvertretenden Reinickendorfer Bezirksbürgermeister Andreas Höhne (SPD), der „vor 10 Tagen für immer von uns gegangen ist.“

Am Rosenbeet am Denkmal des Reinickendorfer Rathauses wies Frank Balzer darauf hin, am 9. November 1938 kamen auf deutschem Boden 91 Menschen ums Leben. Die genaue Zahl der durch faschistische Hände „ermordeten jüdischen Mitbürger können wir nur erahnen. Die Dunkelziffer der Ermordeten liegt bei 1.300 bis ca. 1.500 Menschen.“ Wer zur „damaligen Zeit dachte, es könne nicht mehr schlimmer kommen, wurde bitter enttäuscht. Der Holocaust mit all seinen schrecklichen Gräueltaten sollte sich erst noch entfalten“ an Orten wie Dachau, Auschwitz und Lidice (deutsch: Liditz). 1942 verübten tschechische Partisanen ein Attentat in Prag auf SS – Obergruppenführer Reinhard Heydrich. Der Statthalter von Prag, den die Bevölkerung in der besetzten tschechischen Hauptstadt ob seiner Grausamkeiten „Bluthund“ nannte, starb an den Folgen des Attentats. Auf Anordnung Hitlers sollte ein Exempel statuiert werden an der Bevölkerung im besetzten Land. Die Waffen – SS unterstellte den Dorfbewohnern von Lidice, einem Dörfchen rund 20 Kilometer westlich von Prag gelegen, hier hätten die Attentäter Zuflucht gefunden. Das Dorf inklusive seiner Bevölkerung wurde durch die Nazis dem Erdboden gleichgemacht. 172 Männer wurden im Dorf erschossen. 195 Frauen transportierten die braunen Mörder ins KZ Ravensbrück, wo bis Kriegsende 52 umgebracht wurden. Wie perfide die Rassenideologie der Hitler – Schergen war, zeigte sich bei den Kindern von Lidice. Rassenmediziner und Rassenhygieniker aus dem Deutschen Reich untersuchten die 98 Kinder von Lidice. Man befand, das 13 Kinder die germanischen Rassenbedingungen erfüllten und sie wurden zur Zwangsgermanisierung an parteitreue Familien ins Reich überstellt. Die anderen 85 Kinder starben in Gaskammern. Aus Lidice nahmen Vertreter an der Gedenkfeier in Berlin-Reinickendorf teil. Frank Balzer forderte dazu auf, heute laut und deutlich die Stimme zu erheben, wenn irgendwo eine fremdenfeindliche Äußerung zu vernehmen sei. „Auch Flüchtlinge haben ein Anrecht auf Respekt. Jeder Mensch verdient Achtung.“ Aus der tschechischen Republik reiste Bohumil Rericha (71) an. Er ist Vorstandsmitglied im Freundeskreis für Deutsch – Tschechische Verständigung und sagte: „In tiefer Ehrfurcht verneigen wir uns hier vor den Opfern der deutschen nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Es sind unzählige Opfer. Die Opfer der Reichspogromnacht, die Opfer des folgenden Holocausts und auch die unschuldigen Opfer des kleinen Dorfes Lidice in der früheren CSSR.“ Der Redner betonte auch, der Frieden sei ein hohes Gut und „wir alle erleben jetzt schreckliche Dinge. Wir erleben einen Krieg in der Ukraine und Gewaltexzesse im Nahen Osten.“ Mit großer Sorge sehe er, „dass die Kräfte des Bösen, vor allem Nationalismus und Antisemitismus, in Europa wieder Oberhand gewinnen.“ Bedauerlicherweise „ist Europa gespalten. Anstatt Flüchtlingen zu helfen werden Grenzzäune, die wir einst niedergerissen haben, wieder aufgebaut. Für mich als tschechischen Staatsbürger ist das besonders leidvoll.“ Wer in der aktuellen „Situation gegen Muslime, die vor Krieg und Gewalt flüchten, hetzt, übersieht, welch großes Leid gerade sie zu tragen haben.“ Er sprach „dem deutschen Volk meine Hochachtung aus, wie Sie Fremde aufnehmen und integrieren.“ Wirtschaftsstadtrat Uwe Brockhausen (SPD) teilte im Pressegespräch mit uns mit: „Es gilt auch, tagtäglich gegen das Verbreiten von rechtem Gedankengut anzugehen.“ Das kann der Arbeitsplatz sein, wo solche Gespräche geführt werden, in Sportvereinen, in der Familie und in der Schule. „Fremdenfeindlichkeit und Rassismus dürfen in unserer Gesellschaft keinen Platz haben.“ Torsten Hauschild, GRÜNEN-Fraktionsvorsitzender in der BVV Reinickendorf, erklärte: „Mit seinem persönlichen Einsatz kann jeder Einzelne von uns gegen das Vergessen angehen. Die Gräueltaten in der NS-Diktatur müssen wach bleiben, auch für zukünftige Generationen.“ Nur so sei sichergestellt, das später niemand den Holocaust „kleinreden kann oder sogar Zweifel äußern wird, ob es denn überhaupt so war, wie es berichtet wird.“ Zur aktuellen Flüchtlingspolitik merkte der GRÜNEN-Politiker an: „Unser Grundgesetz spricht im Artikel 1 von der Würde des Menschen. Da steht das Wort Mensch. Von deutschem Staatsbürger ist da nichts zu lesen.“ Gerade die „Mütter und Väter des 1949 geschaffenen Grundgesetzes werden das Wort „Mensch“ mit voller Absicht eingefügt haben. Viele von ihnen haben den Terror der Nationalsozialisten am eigenen Leibe erleben müssen, zahlreiche von ihnen sind KZ-Überlebende.“ BVV - Vorsteher Dr. Hinrich Lühmann (für CDU) lobte „die ausgewogenen Worte von Bezirksbürgermeister Frank Balzer. Es war eine sehr bewegende Rede.“ Soldaten des Wachbataillon aus der nahegelegenen Julius-Leber-Kaserne und musizierende Schülerinnen und Schüler des Europäischen Gymnasiums Bertha-von-Suttner gaben der Gedenkveranstaltung einen würdigen Rahmen. (Text/Bild: VTN)

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